Ausgrabungen in Kalkriese

Die Ausgrabungen auf dem Oberesch

Nachdem die Grabungsflächen im Westteil des Oberesches abgeschlossen waren, wurde etwa 100 m östlich in einer Oberflächenfundstreuung ein Probeschnitt angelegt, der überraschenderweise neben zahlreichen römischen Funde wieder die Reste einer Rasensodenmauer erbrachte. Zwar war die Mauer hier stärker zerstört als bei der ersten Wallanlage, doch konnten die gleichen Beobachtungen gemacht werden: die meisten Funde lagen vor dem Wall, hinter dem Wall war ein Drainagegraben zur Ableitung des Oberflächenwassers eingetieft worden. Bis zum Sommer 1998 war dieser Wall über knapp 40 m untersucht, und es zeigte sich, daß er fast schnurgerade von Nordost nach Südwest über das Feld verlief. Die Auswertung der früheren Grabungspläne ergab inzwischen, daß die erste Rasensodenmauer keine Verbindung zu der zweiten Anlage hat. Der Gesamtbefund ist aber noch unklar, es ist zu hoffen, daß weitere Ausgrabungen eine Klärung dieser Frage, die zugleich die Frage nach der Kampftaktik der Germanen darstellt, herbeiführen können.



Ausgrabungen auf dem ObereschPlan der Ausgrabungen auf dem Oberesch mit Schnitten und wichtigen Befunden.



Eine weitere Überraschung war die Entdeckung von drei Gruben mit Knochenresten von Menschen und Tieren etwa 20 m vor der zweiten Wallanlage. Die Vermutung, daß es sich um die Reste von Toten aus der Varusschlacht handelt, konnte inzwischen durch anthropologische Untersuchungen an der Universität Göttingen und zoologische Arbeiten an der Universität Tübingen bestätigt werden. Bevor die Knochen deponiert wurden, müssen sie einige Jahre auf der Oberfläche gelegen haben, denn ein natürlicher Skelettverband ist in keinem Fall mehr nachweisbar. Ob es Germanen waren, die die Knochen vergraben haben, oder Römer unter Germanicus, der während seine Feldzüge 15/16 n.Chr. die Stätten der Schlacht aufgesucht haben soll, kann bei der Untersuchung der Knochen vielleicht in Kürze geklärt werden.



Schnitte des Jahres 1994Blick auf die Schnitte des Jahres 1994. Das Profil im Vordergrund zeigt die Reste eines zweiten Walles, der sich durch die weiß-grauen Sandschichten vom umgebenden jüngeren Plaggeneschmaterial unterscheiden läßt, obwohl hier nur noch knapp 10 cm der ursprünglichen Höhe erhalten sind.



Dokumentation auf dem ObereschDokumentation auf dem Oberesch, teils mit Trigomat-Zeichengerät und Laptop.



2 x 2 m große Grube1994 wurde in einer ca. 2 x 2 m großen Grube eine Konzentration von Tier- und Menschenknochen entdeckt, im folgenden Jahr kamen zwei weitere kleinere Gruben zutage. Metallfunde belegen den Zusammenhang mit der Varusschlacht.



Tier- und MenschenknochenTier- und Menschenknochen in der 1994 aufgefundenen Grube: Menschlicher Unterkiefer, Oberkieferzahn Maultier (von rechts nach links), dazwischen Bruchstücke von menschlichem Unterarm.



Auf der Sohle der Knochengrube lagen mehrere menschliche Knochenreste, u.a. Schädelteile, Röhrenknochen und Zähne. Zwei Schädelhälften waren schalenartig ineinandergelegt. Bei der Bergung wurde zunächst die innere Schädelhälfte herausgehoben und mit dem anhaftenden Bodenmaterial verwahrt, bis die Knochen von Zoologen und Anthropologen bearbeitet werden konnten.


Menschliche Knochenreste



Dabei zeigte sich, daß in dem Schädelfragment weitere Knochen quasi gesammelt niedergelegt worden waren. Auf dem Bild sind deutlich zwei Röhrenknochen zu erkennen, die durch ein Loch im Schädelknochen nach außen ragen.


Schädelfragment



Die anthropologische Untersuchung ergab eine bemerkenswerte Beobachtung:
Der Schädelknochen weist eine Verletzung auf, die auf einen Schwerthieb, also die vermutlich tödliche Kampfverletzung, zurückzuführen ist.


Kampfverletzung durch Schwerthieb



Die Fortsetzung der Grabungen auf dem Oberesch im Jahre 1999 lieferte interessante und zum Teil unerwartete Ergebnisse. Mehrere Grabungsschnitte waren notwendig geworden, um die Areale zu untersuchen, die im Rahmen der Umgestaltung des Flurstücks zum Archäologischen Park bebaut werden sollten. Beim Abriss ehemaliger Hühnerställe am Ostrand des Feldes kamen völlig überraschend römische Funde und ein Stück der germanischen Wallanlage zum Vorschein. Trotz der Überbauung mit Stall und Wohnhaus in den sechziger Jahren war zufällig gerade der Wallbereich erhalten geblieben, so dass jetzt mit diesem Wallabschnitt das östlichste Teilstück der Wallanlage auf dem Oberesch vorliegt. Dieses Stück verläuft aber nicht in der bis dahin erwarteten Form - etwa von Nordwest nach Südost -, sondern von Südwest nach Nordost.

Überraschend an der Untersuchung dieses östlichsten Wallabschnitts war aber auch die Feststellung, dass hier nicht wie an allen anderen Teilstücken ein Drainagegraben an der Innenseite angelegt worden war, denn Wasser musste in diesem sandigen Areal nicht abgeleitet werden, da es versickern konnte. Stattdessen fand sich hier ein knapp 1,5 m breiter und 1 m tiefer Graben vor dem Wall, der sich bei der Ausgrabung als eine Art Spitzgraben erwies. Vermutlich standen hier nicht genügend Rasensoden für den Bau der Wallanlage zur Verfügung, und daher wurde das ausgehobene Material für den Wallkörper benötigt.

Erstaunlich viele Eisenfunde, vor allem Nägel, kamen in der Füllung des Grabens zutage. Überwiegend lagen sie konzentriert in einem Abschnitt von etwa 4 m Länge. An dieser Stelle lagen auch zahlreiche Steine und geringe Reste von organischen Materialien (vermutlich Holz). Offen ist noch, ob dies auf einen Einbau im Graben oder verlorengegangene Funde aus der Schlacht zurückzuführen ist.

Eine dichte Konzentration römischer Militaria fand sich wie üblich vor dem Wall und dem Graben. Neben bereits vom Oberesch bekannten Fundgattungen - Teile von Waffen, Bronze- und Silberbleche, Nägel, Bronze- und Eisenringe - kamen auch neue Stücke zutage, so eine verzierte Schnalle vom Pferdegeschirr oder von der Schwertaufhängung, ein Helmknauf und Bruchstücke von einem römischen Tongefäß. Auch ein zweites "Glasauge", vermutlich eine Einlage von einem Möbelbeschlag, wurde hier gefunden. Eindeutig ist auch hier der Nachweis von Kampfhandlungen, die zu diesem umfangreichen Fundniederschlag geführt haben.

Da der Verlauf des Walles im Osten zunächst schwer erklärbar war, wurde ein Grabungsschnitt zwischen dem östlichsten und dem mittleren Wallabschnitt angelegt. Wall und Drainagegraben zeichneten sich darin deutlich ab. Es zeigte sich zudem, dass der Wall hier auf eine schmale natürliche Sandrippe gesetzt worden war; dadurch stellte er trotz der geringen Höhe von etwa 1,5 m ein schwer zu überwindendes Hindernis für die Römer dar. Die Vermutung aufgrund der Grabungsergebnisse des Jahres 1998, dass der Wall mehrere Bastionsartige Vorsprünge aufwies, konnte somit bei den letzten Grabungen bestätigt werden. Wir müssen inzwischen davon ausgehen, dass die Befestigung gezielt längerfristig geplant worden war, dann aber kurzfristig, den jeweiligen Geländebedingungen angepasst, errichtet wurde.

Die Bestätigung des bisher vermuteten, aber nicht sicher nachweisbaren Wallverlaufs am Westrand des Oberesches ergab sich durch Funde und Beobachtungen bei der Prospektion einer der für den Bau des Parks angelegten Baustraßen. Nach dem Abschieben einer etwa 10 cm dicken Schicht wurde zunächst das Areal der Trasse mit Metalldetektoren abgesucht. Dabei kam neben Münzen und vielen Bronzeblechfragmenten u.a. ein Bleibarren zutage.

Die Erweiterung der Prospektionsfläche über die eigentliche Wegtrasse hinaus nach Osten und bis zum Bachlauf nach Westen lieferte dann eine große Anzahl weiterer römischer Münzen und Militaria: u.a. 2 Bronzeglocken, 1 Jochbeschlag, 1 Bronzesieb, Schwertscheidenteile, 1 Dechsel, 1 Sporn, Lanzenspitzen, Beschläge von Schienenpanzern, Gefäßteile, viele Bronzebleche. Bei der Bergung mehrerer Funde wurde Bodenmaterial beobachtet, das wohl als Wallmaterial zu interpretieren ist. Außerdem fanden sich in der Nähe einiger Fundstücke Knochenreste.

Diese Beobachtungen ließen es ratsam erscheinen, das Areal im Sommer dieses Jahres auszugraben. Schon bald zeigte sich das Besondere dieser Grabung: der hier angeschnittene westliche Wallabschnitt bestand nicht nur aus Sand und Rasensoden, sondern hatte offenbar an der Außenfront eine Art Trockenmauer aus Kalksteinen. Unter einigen der heute verstürzten Steine fanden sich römische Funde, u.a. eine Schaftlochaxt und ein Zelthering, so dass der Zusammenhang mit den Kampfhandlungen eindeutig ist. Einzelheiten zum Aussehen des Walles sind noch unbekannt, da die Grabungen noch nicht abgeschlossen sind, doch zeigt sich auch hier, dass die Germanen beim Bau auf direkt vor Ort vorhandenes Material zurückgegriffen haben.

Verblüffend an diesem Wallbereich ist auch das Fundmaterial, das neben einzelnen Militaria aus mehr als 300 zerdrückten und verbogenen Bronzeblechfragmenten besteht. Vermutlich handelt es sich um eine Ansammlung von Beutestücken, die aus bisher ungeklärten Gründen liegen geblieben sind.



Grabungsarbeiten am westlichen WallabschnittGrabungsarbeiten am westlichen Wallabschnitt im Sommer 2000. Deutlich zeichnet sich ein breiter Streifen verstürzter Kalksteine an der Vorderfront des Walles ab.



Die inzwischen fünfte Knochendeponierung auf dem Oberesch wurde im Herbst 1999 freigelegt. Bei der Ausgrabung des Bauplatzes eines der im Park geplanten Pavillons kamen am letzten Tag der Untersuchungen einige Knochen zum Vorschein. Bei der kleinräumigen Erweiterung des Schnittes zeigte sich, dass wir es nicht mit einzelnen verstreuten Knochen zu tun hatten, sondern mit einer Grube von etwa 1 x 1 m Durchmesser und etwa 0,5 m Tiefe, in der zahlreiche Knochen deponiert worden waren. Die Grube war am Rand und am Boden weitgehend mit Steinen, überwiegend aus dem anstehenden Kalkstein, ausgekleidet, und auch zwischen den Knochen lagen mehrere Steine. Die Knochen - überwiegend wohl Menschenknochen und nur einzelne Knochen und Zähne von Maultieren - waren sehr gut erhalten; möglicherweise haben die Kalksteine in der Umgebung für die gute Konservierung gesorgt.

Als Grube war eine natürliche Mulde im Lehm und im darunter liegenden Kalkstein genutzt worden. Dieses Loch, das eventuell feucht war, weil Wasser hier nicht abfließen konnte, wurde zunächst mit Kalksteinen teilweise verfüllt, dann wurden Knochen, z.T. säuberlich geschichtet, und Kalksteine darauf gelegt und auch der Rand der Grube mit einigen Steinen begrenzt.

Ein menschlicher Schädel lag etwa auf der Sohle der eigentlichen "Grabgrube", ein weiterer etwas höher, nahezu im Zentrum; er schien fast eingerahmt zu sein von weiteren, z.T. vollständigen Langknochen. An diesem Befund, der ansonsten die gleichen Phänomene aufweist wie die bisher bekannten Gruben - kein Skelettverband ist erhalten, die Knochen sind überwiegend stark fragmentarisch, Menschen- und Tierknochen liegen vermischt durcheinander - wird der Grabcharakter besonders gut deutlich. Die Knochen wurden nicht einfach ziellos entsorgt, sondern systematisch, in diesem Fall beinahe pietätvoll sorgfältig, bestattet. Die Überlegung, dass diese "Bestattungen" durch Römer unter Germanicus und nicht durch Germanen vorgenommen worden sind, gewinnt damit immer mehr an Wahrscheinlichkeit.

Mit den Grabungsergebnissen der vergangenen Monate hat sich der Oberesch wieder einmal als äußerst fund- und befundträchtige Fundstelle im Areal der Varusschlacht erwiesen. An keiner anderen Stelle kamen bisher derartig viele Überreste aus der Schlacht zum Vorschein, und gerade auch die neuen Funde und die Knochendeponierung belegen die herausragende Stellung des Oberesches als "Teilschlachtfeld".

Zu fragen ist nun, ob der Oberesch eine besondere Funktion im Rahmen des germanischen Hinterhaltes hatte - vielleicht wurde an dieser vorgeschobenen Position besonders stark befestigt, um die Römer hier empfindlich treffen zu können - oder ob lediglich durch Zufall und Eschbedeckung mehr erhalten geblieben ist als an anderen Plätzen. Fundanzahl und Fundgattungen von verschiedenen Fundstellen müssen nun verglichen und im Zusammenhang mit den Befunden interpretiert werden, um dem Bild des damaligen Schlachtgeschehens schrittweise näher zu kommen.



Grabungsschnitt 1999Grabungsschnitt 1999. Blick auf den Graben vor dem Wall.



V-förmiger GrabenIm Profil zeichnet sich der Graben deutlich V-förmig ab.



Ansammlung von Steinen im GrabenAnsammlung von Steinen im Graben. Die Bedeutung dieser Steine, zwischen denen auch zahlreiche Eisennägel lagen, ist noch nicht geklärt.



KnochendeponierungKnochendeponierung auf dem Oberesch im Herbst 1999. Die Knochen lagen eng beieinander in einer Grube, dazwischen mehrere Kalksteine.



Fast vollständig erhaltener menschlicher SchädelDetail aus der Knochengrube: ein fast vollständig erhaltener menschlicher Schädel lag in der Mitte der Grube.



Oberesch, Grabungsschnitte bis Sommer 2004 mit Wall, Drainagegraben, Brustwehrpfosten und KnochengrubenOberesch, Grabungsschnitte bis Sommer 2004 mit Wall, Drainagegraben, Brustwehrpfosten und Knochengruben.



Oberesch - Schnitte des Jahres 2005Oberesch - Schnitte des Jahres 2005.



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