Quellen zur Varusschlacht
2. Publius Cornelius Tacitus ( 55 n.Chr. - 120 n.Chr.[?])
Da der römischen Historiker Publius Cornelius Tacitus selbst nur spärlich über seine Lebensumstände berichtet hat, sind persönliche Daten von ihm rar.
Aus einer Ritterfamilie in der Gallia Narbonensis oder Gallia Cisalpina stammend, worauf versteckte Hinweise in seinen Schriften deuten, erhielt Tacitus seine Ausbildung als Rhetor und Jurist bei M. Aper und Iulius Secundus in Rom. Früh schon war er Gerichtsredner und Rhetoriklehrer.
Im Jahr 77 n.Chr. heiratete er die Tochter des Consuls Iulius Agricola. Nachdem er unter Titus (79-81 n.Chr.) Quaestor, unter Domitian (81-96 n.Chr.) zunächst Volkstribun oder Aedil und 88 n.Chr. Praetor gewesen war, verließ er um das Jahr 90 n.Chr. für mindestens vier Jahre Rom, um in den Provinzen höhere Ämter zu bekleiden. Im Jahr 97 n.Chr. war er unter Nerva Consul und 112/113 n.Chr. Proconsul der Provinz Asia. Sein genaues Todesjahr - um 120 n.Chr. - ist nicht bekannt.
Im Agricola, seinem literarischen Erstwerk, das Tacitus wohl noch im Jahre 98 n.Chr. nach dem Regierungsantritt Traians verfaßte, setzte er in Form einer Biographie seinem Schwiegervater Agricola ein Denkmal. Wohl ebenfalls noch in diesem Jahr entstand die Germania, von den Germanen im Allgemeinen und ihren Stämmen im Speziellen handelnd, die als Vorarbeit für die beiden monumentalen historischen Werke, die Annales und die Historiae, anzusehen ist.
In den unvollständig erhaltenen Annales, ab 115 n.Chr. ursprünglich in 16 Büchern veröffentlicht, schildert Tacitus ab excessu divi Augusti - vom Tode des Augustus - die Regierungszeit des Tiberius (14-37 n.Chr.), des Claudius (41-54 n.Chr.) und des Nero (54-68 n.Chr.). Sein zweites großes Geschichtswerk, die Historiae, wahrscheinlich zwischen 105 bis 108/110 n.Chr. enstanden, beinhaltet in 14 Büchern die Zeit vom Dreikaiserjahr bis zum Tod von Domitian.
Obwohl Tacitus darum bemüht war, wie er in den Annales (I 1, 3) selbst angibt, sind seine Werke nicht immer sine ira et studio verfasst.
Tac. ann. I 60 1. Conciti per haec non modo Cherusci, sed conterminae gentes, tractusque in partes Inguiomerus, Arminii patruus, vetere apud Romanos auctoritate; unde maior Caesari metus. |
60 1. Dadurch wurden nicht nur die Cherusker, sondern auch die angrenzenden Völkerschaften aufgewiegelt und Inguiomerus, der Oheim des Arminius, der bei den Römern seit langem in Ansehen stand, zum Anschluß bewogen. So wuchs die Besorgnis des Caesar. |
2. Et ne bellum mole una ingrueret, Caecinam cum quadraginta cohortibus Romanis distrahendo hosti per Bructeros ad flumen Amisiam mittit, equitem Pedo praefectus finibus Frisiorum ducit. Ipse impositas navibus quattuor legiones per lacus vexit; simulque pedes, eques, classis apud praedictum amnem convenere. Chauci cum auxilia pollicerentur, in commilitium asciti sunt. | 2. Und damit nicht die ganze Wucht des Krieges auf einmal hereinbreche, schickte er Caecina mit vierzig römischen Kohorten, um den Feind zu zersplittern, durch das Gebiet der Bructerer an den Fluß Amisia, während die Reiterei der Befehlshaber Pedo durch das Gebiet der Friesen führte. Er selbst fuhr mit vier Legionen, die er auf Schiffe verladen hatte, über die Seen. Fußvolk, Reiterei und Flotte trafen gleichzeitig an dem vorbestimmten Fluß ein. Da die Chaucen Hilfstruppen zu stellen versprachen, wurden sie in die Heeresgemeinschaft aufgenommen. |
3. Bructeros sua urentes expedita cum manu L. Stertinius missu Germanici fudit; interque caedem et praedam repperit undevicesimaeaquilam cum Varo amissam. Ductum inde agmen ad ultiomos Bructerorum, quantumque Amisiam et Lupiam amnes inter, vastatum, haud procul Teutoburgiensi saltu, in quo reliquiae Vari legionumque insepultae dicebantur. | 3. Die Bructerer, die selbst ihr Hab und Gut verbrannten, schlug L. Stertinius, den Germanicus mit einer leichten Heeresabteilung abgesandt hatte. Während des Mordens und Plünderns fand er den Adler der neunzehnten Legion, der unter Varus verloren gegangen war. Dann führte er sein Heer weiter bis zu der äußersten Grenze der Bructerer, und das ganze Gebiet zwischen den Flüssen Amisia und Lupia, nicht weit entfernt vom Teutoburger Wald, in dem, wie es hieß, die Überreste des Varus und seiner Legionen unbegraben lagen, wurde verwüstet. |
61 1. Igitur cupido Caesarem invadit solvendi suprema militibus ducique, permoto ad miserationem omni, qui aderat, exercitu ob propinquos, amicos, denique ob casus bellorum et sortem hominum. Praemisso Caecina, ut occulta saltuum scrutaretur pontesque et aggeres umido paludum et fallacibus campis imponeret, incedunt maestos locos visuque ac memoria deformes. |
61 1. Nun erwachte in dem Caesar das Verlangen, jenen Soldaten und ihrem Heerführer die letzte Ehre zu erweisen, wobei das ganze anwesende Heer von schmerzlichem Mitgefühl erfüllt war wegen der Verwandten und Freunde, kurz, wegen der leidvollen Kriege und des menschlichen Loses. Caecina wurde vorausgeschickt, um die entlegenen Waldgebiete zu durchforsten und über das sumpfige Gelände und den trügerischen Moorboden Brücken und Dämme zu führen. Und nun betraten sie die Unglücksstätte, gräßlich anzusehen und voll schrecklicher Erinnerungen. |
2. Prima Vari castra lato ambitu et dimensis principiis trium legionum manus ostentabant; deinde semiruto vallo, humili fossa accisae iam reliquiae consedisse intellegebantur; medio campi albentia ossa, ut fugerant, ut restiterant, disiecta vel aggerata. | 2. Das erste Lager des Varus wies an seinem weiten Umfang und der Absteckung des Hauptplatzes auf die Arbeit von drei Legionen hin. Dann erkannte man an dem halb eingestürzten Wall und dem niedrigen Graben, daß die zusammengeschmolzenen Reste sich dort gelagert hatten. Mitten in dem freien Feld lagen die bleichenden Gebeine zerstreut oder in Haufen, je nachdem die Leute geflohen waren oder Widerstand geleistet hatten. |
3. Adiacebant fragmina telorum equorumque artus, simul truncis arborum antefixa ora. Lucis propinqui barbarae arae, apud quas tibunos ac primorum ordinum centuriones mactaverant. | 3. Dabei lagen Bruchstücke von Waffen und Pferdegerippe, zugleich fanden sich an Baumstämme angenagelte Köpfe. In den benachbarten Hainen standen die Altäre der Barbaren, an denen sie die Tribunen und die Centurionen der ersten Rangstufe geschlachtet hatten. |
4. Et cladis eius superstites, pugnam aut vincula elapsi; referebant hic cecidisse legatos, illic raptas aquilas; primum ubi vulnus Varo adiactum, ubi infelici dextera et suo ictu mortem invenerit; quo tribunali contionatus Arminius, quot patibula captivis, quae scrobes, utque signis et aquilis per superbiam illuserit. | 4. Die Leute, die diese Niederlage überlebt hatten und der Schlacht oder der Gefangenschaft entronnen waren, erzählten, hier seien die Legaten gefallen, dort die Adler von den Feinden erbeutet worden, sie zeigten, wo Varus die erste Wunde erhalten, wo er mit seiner unseligen Rechten sich selbst den Todesstoß beigebracht habe; wo Arminius von der Tribüne herunter eine Ansprache gehalten habe, wie viele Galgen für die Gefangenen, was für Martergruben er habe herstellen lassen, wie er die Feldzeichen und Adler übermütig verhöhnt habe. |
62 1. Igitur Romanus, qui aderat, exercitus sextum post cladis annum trium legionum ossa nullo noscente, alienas reliquias an suorum humo tegeret, omnes ut coniunctos, ut consanguineos aucta in hostem ira maesti simul et infensi condebant. Primum extruendo tumulo caespitem Caesar posuit, gratissimo munere in defunctos et praesentibus doloris socius. |
62 1. Und nun setzte das hier befindliche römische Heer, sechs Jahre nach der Niederlage, die Gebeine von drei Legionen bei, in trauriger Stimmung und zugleich in wachsendem Zorn auf den Feind, ohne daß jemand erkannte, ob er die Überreste von Fremden oder von seinen eigenen Angehörigen in der Erde barg. Und es war, als ob sie alle zusammengehörten, als ob sie Blutsverwandte seien. Das erste Rasenstück zur Errichtung des Grabhügels legte der Caesar, so erwies er den Gefallenen den ersehnten Dienst und nahm teil an dem Schmerz der Anwesenden. |