Quellen zur Varusschlacht

3. Lucius Annaeus Florus

Über den Autor der Epitome de Tito Livio ist wenig bekannt.

In der Provinz Africa geboren, nahm Florus als Junge am Capitolinischen Dichterwettstreit des Domitian (81-96 n.Chr.) teil. Ehe er sich in Tarracona/Tarraco in Spanien niederließ und schriftstellerisch betätigte, scheint er einige Zeit umhergereist zu sein. Während des Prinzipat des Hadrian (117-138 n.Chr.) hielt er sich scheinbar in Rom auf.

In der Epitome, verfaßt in der zweiten Hälfte des Prinzipat von Hadrian, skizziert Florus, allerdings mehr rhetorisch als historisch präzis, die römische Geschichte von der Gründung Roms (ab urbe condita; 753 v.Chr.) bis zur Zeit des Kaisers Augustus. Hauptquelle und Vorbild für sein Werk, offensichtlich ein Panegyricus auf das römische Volk, war der römische Geschichtsschreiber Livius (59 v.Chr.-17 n.Chr.).

Flor. II 30 (Bellum Germanicum )

21. Germaniam quoque utinam vincere tanti non putasset! Magis turpiter amissa est quam gloriose adquisita.


21. Hätte er [d.h. Augustus] es doch nicht für so wichtig gehalten, auch Germanien zu besiegen! Die Schande des Verlustes war größer als der Ruhm des Gewinns.
22. Sed quatenus sciebat patrem suum C. Caesarem bis transvectum ponte Rhenum quaesisse bellum in illus honorem concupierat facere provinciam; et factum erat, si barbari tam vitia nostra quam imperia ferre potuissent. 22. Doch da er wußte, daß sein [Adoptiv]-Vater Gaius [Iulius] Caesar zweimal mit einer Brücke den Rhein überschritten und den Krieg gesucht hatte, begehrte er heftig, es jenem zur Ehre zur Provinz zu machen, und es wäre auch geschehen, wenn die Barbaren unsere Laster ebenso wie unsere Befehle hätten ertragen können.
23. Missus in eam provinciam Drusus primos domuit Usipetes, inde Tencteros percurrit et Catthos. Nam Marcomannorum spoliis et insignibus quendam editum tumulum in tropaei modum excoluit. 23. Drusus wurde in diese Provinz abgesandt und unterwarf als erster die Usipeter, danach durchzog er das Gebiet der Tenkterer und der Chatten. Mit Beutestücken und Feldzeichen der Markomannen schmückte er einen hohen Hügel wie ein Siegesdenkmal.
24. Inde validissimas nationes Cheruscos Suebosque et Sicambros pariter agressus est, qui viginti centurionibus in crucem actis hoc velut sacramento sumpserant bellum, adeo certa victoriae spe, ut praedam in anticessum pactione diviserint. 24. Dann griff er gleichzeitig die stärksten Stämme an, die Cherusker, Sueben und Sugambrer, die 20 Centurionen ans Kreuz geschlagen und, als hätten sie damit einander den Treueid geleistet, den Krieg begonnen hatten.
25. Cherusci equos, Suebi aurum et argentum, Sicambri captivos elegerant; sed omnia retrorsum. Victor namque Drusus equos, pecora, torques eorum ipsosque praedam divisit et vendidit. 25. Die Cherusker hatten sich die Pferde, die Sueben das Gold und Silber, die Sugambrer die Gefangenen ausgewählt; doch alles kam gerade umgekehrt. Denn der Sieger Drusus teilte die Pferde, das Vieh, ihre Halsringe und sie selbst als Beute auf und verkaufte sie.
26. et praeterea in tutelam provinciae praesidia atque custodias ubique disposuit per Mosam flumen, per Albin, per Visurgin. In Rheni qidem ripa quinquaginta amplius castella direxit. Bormam et Gesoriacum pontibus iunxit classibusque firmavit. 26. Außerdem verteilte er zur Sicherung der Provinz Besatzungen und Wachmannschaften überall entlang der Maas, der Elbe und der Weser. Am Rheinufer ließ er mehr als 50 Kastelle errichten. [Die Orte] Borma und Gesoriacum verband er durch Brücken und sicherte sie mit einer Flotte.
27. Invisum atque inacessum in id tempus Hercynium saltum patefecit. Ea denique in Germania pax erat, ut mutati homines, alia terra, caelum ipsum mitius molliusque solito videretur. 27. Den bis dahin noch nie gesehenen und betretenen Hercynischen Wald machte er zugänglich. Schließlich herrschte in Germanien solcher Frieden, daß die Menschen verändert, das Land ein anderes, selbst das Klima milder und lieblicher als gewöhnlich schien.
28. Denique non per adulationem, sed ex meritis, defuncto ibi fortissimo iuvene, ipse, quod numquam alias, senatus cognomen ex provincia dedit. 28. Endlich, nachdem der tapfere junge Mann dort gestorben war, verlieh ihm der Senat selbst - nicht aus Schmeichelei, sondern wegen seiner Verdienste - den Beinamen dieser Provinz, was sonst noch nie vorgekommen war.
29. Sed difficilius est provincias obtinere quam facere, viribus parantur, iure retinentur. 29. Aber es ist schwieriger eine Provinz zu halten als sie zu schaffen. Sie werden gewonnen durch bewaffnete Gewalt, aber durch das Recht gehalten.
30. Igitur breve id gaudium. Quippe Germani victi magis quam domiti erant, moresque nostros magis quam arma sub imperatore Druso suspiciebant; postquam ille defunctus est, Vari Quintilli libidinem ac superbiam haud secus quam saevitiam odisse coeperunt. 30. So war die Freude nur kurz. Denn die Germanen waren eher besiegt als gebändigt; und unter dem Feldherrn Drusus beargwöhnten sie unsere Lebensart mehr als unsere Waffen. Nach seinem Tod begannen sie die Gier und den Hochmut nicht weniger als die Grausamkeit des Quintillius Varus zu verabscheuen.
31. Ausus ille agere conventum, et incautos edixerat, quasi violentiam barbarum lictoris virgis et praeconis voce posset inhibere. 31. Er wagte es, einen Landtag abzuhalten, und erließ unvorsichtige Edikte, gerade so, als ob er der Gewalttätigkeit der Barbaren mit den Ruten des Lictors und der Stimme des Herolds Einhalt gebieten könne.
32. At illi, qui iam pridem robigine obsitos enses inertesque maererent equos, ut primum togas et saeviora armis iura viderunt, duce Armenio arma corripiunt. 32. Als jene aber, die schon lange wegen ihrer rostigen Schwerter und untätig herumstehenden Pferde murrten, der [römischen] Toga und der Gerichtsentscheidungen, die grausamer als Waffen waren, gewahr wurden, griffen sie unter der Führung des Arminius zu den Waffen.
33. cum interim tanta erat Varo pacis fiducia, ut ne prodita quidem per Segestem unum principum coniuratione commoveretur. 33. Inzwischen vertraute Varus so auf den Frieden, daß er nicht einmal zu erschüttern war, als Segestes ihm als einziger der Fürsten die Verschwörung verriet.
34. Itaque inprovidum et nihil tale metuentem ex improviso adorti, cum ille - o securitas - ad tribunal citaret, undique invadunt; castra rapiuntur, tres legiones opprimuntur. 34. So griffen sie den Ahnungslosen und nichts Derartiges Befürchtenden überraschend an, als jener - welche Sorglosigkeit! - vor Gericht lud, und von allen Seiten brachen sie herein. Das Lager wurde ausgeraubt, drei Legionen überwältigt.
35. Varus perditas res eodem quo Cannensem diem Paulus et facto est et animo secutus. 35. Varus folgte dem allgemeinen Untergang mit dem gleichen Schicksal und im gleichen Geist wie [L. Aemilius] Paulus an dem Tag von Cannae.
36. Nihil illa caede per paludes perque silvas cruentius, nihil insultatione barbarorum intolerabilius, praecipue tamen in causarum patronos. 36. Nichts war grausamer als dieses Gemetzel in Sümpfen und Wäldern, nichts war unerträglicher als der Hohn der Barbaren, besonders aber gegen die Gerichtsherren.
37. Aliis oculos, aliis manus amputabant, unius os sutum, recisa prius lingua, quam in manu tenens barbarus "tandem", ait "vipera sibilare desisti". 37. Den einen stachen sie die Augen aus, anderen hieben sie die Hände ab; einem wurde der Mund zugenäht, zuvor aber die Zunge herausgeschnitten. Diese hielt einer der Barbaren in der Hand und rief. "Du Viper, endlich hast du aufgehört zu zischen".
38. Ipsius quoque consulis corpus, quod militum pietas humi abdiderat, effossum. Signa et aquilas duas adhuc barbari possident, tertiam signifer, prius quam in manus hostium veniret, evolsit mersamque intra baltei sui latebras gerens in cruenta palude sic latuit. 38. Selbst der Leichnam des Konsuls, den die Soldaten aus Ehrfurcht begraben hatten, wurde wieder ausgegraben. Feldzeichen und zwei Legionsadler besitzen die Barbaren noch heute; bevor der dritte in die Hände der Feinde fallen konnte, riß ihn der Standartenträger ab, steckte ihn in die Öffnungen seines Wehrgehenks und verbarg sich so im blutigen Sumpf.
39. Hac clade factum, ut imperium, quod in litore Oceani non steterat, in ripa Rheni flumi nis staret. 39. Diese Niederlage bewirkte, daß die [römische] Herrschaft, die an der Küste des Ozeans nicht haltgemacht hatte, am Rheinufer ihre Grenze fand.



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