Münzfunde

Münzfunde in Kalkriese

In den vergangenen Jahrhunderten waren in und um Gut Barenaue in der Kalkrieser-Niewedder Senke immer wieder römische Gold- und Silbermünzen von Bauern bei der Feldarbeit entdeckt worden. Da die Familie von Bar, Besitzer des Gutes Barenaue, einen Finderlohn für diese Münzen zahlte, entstand so in ihrem Besitz eine Sammlung der seit dem 17. Jahrhundert in der Kalkrieser-Niewedder Senke gefundenen römischen Münzen. Über diese Sammlung, die nach dem Zweiten Weltkrieg durch Diebstahl verlorenging, liegen detaillierte Informationen von dem Berliner Numismatiker Julius Menadier vor, der die Sammlung 1884 im Auftrag des Althistorikers Theodor Mommsen aufzeichnete.

In seinem Werk "Die Örtlichkeit der Varusschlacht" (Berlin 1885) war es dann Theodor Mommsen, der erstmals einen Zusammenhang zwischen den Münzfunden in der Kalkrieser-Niewedder Senke und der Varusschlacht herstellte, wobei ihm als Beweis die Gold- (aurei) und Silbermünzen (denarii) aus der Sammlung von Bar dienten, die nicht über die Zeit des Augustus hinausgingen.

Die Kritiker seiner Theorie monierten allerdings, daß zwar aurei und denarii in der Kalkrieser- Niewedder Senke entdeckt worden seien, daß das sog. Soldatengeld, die Kupfermünzen (asses), aber fehlen würde. Am eigentlichen Ort des Geschehens der Varusschlacht müsse sich dies aber finden, denn Edelmetallmünzen hätten im Alltagsleben der ‚einfachen‘ römischen Soldaten keine so große Rolle gespielt, wie das Klein- bzw. Kupfergeld, der as und der quadrans (Viertelas).

Da nach dem Ort der Varusschlacht besonderts im ausgehenden 19. Jahrhundert mit großem Eifer gesucht wurde, war Mommsens Theorie nur eine von vielen in dieser Zeit, und die "Örtlichkeit" Kalkriese geriet schnell wieder in Vergessenheit. Auch erneute Münzfunde aus den Jahren 1908 mit einer Goldmünze und 1963 mit einer Silbermünze änderten daran nichts, denn das Motto zukünftiger Forschungen vor Ort mußte ja sein, besagtes Kupfergeld in der Kalkrieser-Niewedder Senke aufzufinden, um Mommsens Theorie zu beweisen.



Hortfund 19 römische MünzenHortfund des Jahres 1993 aus 19 römischen Münzen: 15 Denare (denarii), 3 Quinare (quinarii) und ein Aureus (aureus).

Die Münzen umfassen einen Zeitraum von 110 v.Chr. bis 2-1 v.Chr. Schlußmünzen des Hortfundes sind vier Denare und der Aureus vom Gaius/Lucius-Typ, geprägt in Lugdunum/Lyon.

1 Quinar entspricht dem Wert von einem ½ Denar und 1 Aureus von 25 Denaren.



Anlaß für die bis gegenwärtig laufenden systematischen Forschungen war die erneute Auffindung von römischen Münzen in der Kalkrieser-Niewedder Senke im Jahre 1987: 160 Silbermünzen (denarii) und zwei Spielsteine (latrunculi) wurden in einem zerpflügten Verwahrfund auf dem Flurstück "Lutterkrug" entdeckt. Als sich dann 1988 noch drei Schleuderbleie (glandes plumbeae) fanden, stellten diese den Fundort erstmals in einen Zusammenhang mit militärischen Ereignissen.



Goldmünze des AugustusGoldmünze (aureus) des Augustus mit dem Kopf des jugendlichen Augustus mit Lorbeerkranz nach rechts, geprägt 2 v.Chr. bis 1 n.Chr. in Lugudunum/Lyon. - Dm. 18 mm.



Denarius SerratusDenarius Serratus des C. Naevius Balbus, geprägt 79 v.Chr. in Rom. - Dm. 18,5-20 mm. - Vs: Kopf der Göttin Venus mit Diadem, dahinter SC. - Die Venus weist Balbus als Parteigänger des Diktators Sulla aus. Die Münze hat einen gezähnten Rand, wohl um ein betrügerisches Beschneiden zu verhindern. Tacitus zufolge bevorzugten die Germanen solche Silbermünzen.


Kupfermünze mit Gegenstempel VAR














Kupfermünze (as) des Augustus mit Gegenstempel VAR des P. Quinctilius Varus, geprägt 8-3 v.Chr. in Lugudunum/Lyon. - Dm. 25,5-27 mm.



Auffällig an den in Kalkriese gefundenen Münzen ist der hohe Anteil des gegengestempelten Kupfergeldes. 96 Prozent der Münzen sind gegengestempelt, ein Anteil, den es noch an keinem anderen Fundplatz aus augusteischer Zeit gegeben hat. Am häufigsten ist der runde Gegenstempel IMP, der für imperator steht. Außerdem kommen die Gegenstempel AVC (Augustus), VAR (Varus) und C. VAL (C. Numonius Vala, Legat des Varus) vor. Die Gegenstempel VAR des Varus können nur in der Zeit zwischen 7 n.Chr. und 9 n.Chr. auf die Münzen gekommen sein, als P. Quinctilius Varus Legat des Augustus in Germanien war.



Runder Gegenstempel IMPVergrösserung Gegenstempel IMPRunder Gegenstempel IMP mit lituus (Krummstab eines Priesters) auf einem As des Augustus, geprägt 8-3 v. Chr. in Lugdunum/Lyon. - Dm. 25,5 mm.



Gegenstempel AVCVergrösserung Gegenstempel AVCGegenstempel AVC auf einem As des Augustus aus Lugdunum/Lyon. - Dm. 26-27 mm. (Der Stempel hatte augenscheinlich einen Bruch.)



Gegenstempel VARVergrösserung Gegenstempel VARGegenstempel VAR (Varus) auf einem As des Augustus, geprägt 8-3 v.Chr. in Lugudunum/Lyon. - Dm. 25,5-27 mm.



Gegenstempel C.VALVergrösserung Gegenstempel C.VALGegenstempel C.VAL (C. Numonius Vala) auf einem As des Augustus, geprägt 8-3 v.Chr. in Lugdunum/Lyon. - Dm. 26-27,5 mm.



Der Gegenstempel IMP wurde in Haltern auf die Münze geschlagen. Der lituus deutet auf die Augurenwürde des Augustus und damit indirekt auf seine Auspicien (göttliche Legitimation) als Feldherr hin. Anlaß der Ausgabe dieser Münze konnte die 16. (6 n.Chr.), 17. (7 n.Chr.) oder 18. (8 n.Chr.) imperatorische Akklamation des Augustus sein.

Den Gegenstempel AVC (Augustus) trägt fast die Hälfte aller Kupfermünzen aus Kalkriese. Diese wurden zwischen 8 v.Chr. und 3 v.Chr. in Lugdunum/Lyon geprägt und zeigen auf der Vorderseite den Kopf des Augustus mit Lorbeerkranz und der Umschrift CAESAR PONT MAX (Caesar pontifex maximus). Anlaß der Gegenstempelung war wohl ein Geldgeschenk an die Soldaten im Namen des Augustus.

Diese Gegenstempel geben einen Hinweis auf den Zeitpunkt, zu dem die Münzen in den Boden gelangt sind. Darüber hinaus ist die sog. Schlußmünze (Münze mit dem jüngsten Prägedatum) wichtig, die in Kalkriese und auch im Lager Haltern der Gaius/Lucius-Denar des Augustus ist. Diese Münze wurde ab 2 v.Chr. bis maximal 4 n.Chr. geprägt. Auch einige Fälschungen dieses Denar-Typs, sogenannte subaerati (sub aes = Kupfer darunter), fanden sich in Kalkriese und Haltern. Es handelt sich um Kupferkerne, die mit einer 'Silberhaut' überzogen sind.



Zwei Denare des AugustusZwei Denare des Augustus, geprägt 2 v.Chr.-1 n.Chr. in Lugdunum/Lyon. - Dm. 18 mm.



Vorderseite des linken Denars: Kopf des jugendlichen Augustus mit Lorbeerkranz nach rechts; darum die Umschrift CAESAR AVGVSTVS DIVI F PATER PATRIAE (= Caesar Augustus, Sohn des vergöttlichten Caesar, Vater des Vaterlandes).
Rückseite des rechten Denars: Gaius Caesar und Lucius Caesar, die Enkel des Augustus, nebeneinander stehend mit Toga, Speer und Schild; oben eine Schöpfkelle (simpulum) und ein Krummstab (lituus).
Umschrift: CL CAESARES AVGVSTI F COS DESIG PRINCIVENT (Gaius Caesar und Lucius Caesar, Söhne des Augustus, designierte Consuln, Anführer der Jugend). Mit diesen Denaren wurden während des Illyrischen Aufstandes und der Germanenkriege die römischen Soldaten bezahlt. Sie wurden von 2 v.Chr. bis ca. 13/14 n.Chr. ausgegeben.

Im Zuge der archäologischen Forschungen wurden in der Kalkrieser-Niewedder Senke bisher - inklusive der Altfunde - ca. 1700 römische Münzen entdeckt (Stand: Dezember 2007). Darunter befinden sich 23 Goldmünzen (aurei), und zwar 17 sicher nachweisbare Altfunde, darunter neun eindeutig bestimmte Exemplare, drei 1992 von unbefugter Seite gefundene und noch nicht bestimmte Stücke aus einem Hortfund sowie drei bei der systematischen Prospektion zum Vorschein gekommene Prägungen. Alle 13 sicher identifizierte aurei können Augustus zugeschrieben werden, fünf mit dem Prägedatum 19 v.Chr. bis 16 v.Chr. und sieben vom 2 v.Chr. bis 1 n.Chr. geprägten Gaius/Lucius-Typ. Die tatsächliche Zahl der im 18., 19. und frühen 20. Jahrhundert in der Kalkrieser-Niewedder Senke zum Vorschein gekommenen aurei ist wahrscheinlich noch wesentlich höher.

Auch bei den Denaren (denarii) bildet der Gaius/Lucius-Typ die Schlußmünze; die nächst jüngere Prägung - sie stammt aus den Jahren 13/14 n.Chr. - fehlt in dem Engpaß am Kalkrieser Berg. Für die Auswertung stehen hier annähernd 758 Exemplare zur Verfügung, darunter 180 denarii aus der ehemaligen, von Theodor Mommsen erfaßten Sammlung auf Schloß Barenaue, als deren Kern ein Hortfund angesehen werden muß, sowie sechs weitere Altfunde. Die Art und Zusammensetzung dieser Denarfunde, insbesondere der hohe Anteil der Schlußmünze von rund 20% sowohl in den Horten als auch bei den Einzelstücken, macht - vor allem im Vergleich mit entsprechenden Funden des im Jahre 9 n.Chr. aufgelassenen Legionslagers Haltern an der Lippe - wahrscheinlich, daß sie ebenfalls 9 n.Chr. in den Boden gelangt sind.



Goldmünze des C. Antistius VetusGoldmünze des C. Antistius Vetus. Geprägt: 16 v.Chr. in Rom. - Dm. 17 mm
Vorderseite: C.ANTISTI.VETVS III.VIR.
Rückseite: PRO VALETVDINE CAESARIS. Unten SPQR.
Weltweit sind von diesem aureus nur noch zwei weitere Exemplare bekannt.



Goldmünze des AugustusGoldmünze des Augustus. Geprägt: zw. Juli 18 u. 17/16 v.Chr. Gew. 7,6 g.
Vorderseite: SPQR.IMP CAESARI.
Rückseite: Q[VO]D.VIAE.MVN.SVNT.
Weltweit sind von diesem aureus wohl nur noch drei weitere Exemplare bekannt.



Besser als Edelmetallprägungen bezeugen Kupfermünzen (asses) die Anwesenheit römischer Truppen, denn asses waren das tägliche Kleingeld des römischen Soldaten. Seit 1987 sind in Kalkriese rund 627 solcher asses, darunter mindestens acht keltische Aduatukererze, die als Viertel-As galten, gefunden worden. Von den bestimmbaren beziehungsweise restaurierten und bestimmten Exemplaren sind etwa 93% zwischen 8 v.Chr. und 3 v.Chr. geprägte Lugdunum-I-Asse. Hinzu kommen einige Münzmeisterasse, Nemaususdupondien und Großkupfer aus Vienna/Vienne. Die zweite Serie der Lugdunum-Asse, geprägt 10 n.Chr. bis 14 n.Chr., fehlt in Kalkriese.

Für den militärischen Charakter der Münzen aus der Kalkrieser-Niewedder Senke spricht der ungewöhnlich hohe Anteil kontermarkierter Lugdunum-I-Asse; 96 % tragen eine Kontermarke (Gegenstempel). Im Legionslager Haltern an der Lippe sind es demgegenüber nur rund 14%. Kontermarkiert wurden Kupfermünzen ausschließlich im militärischen Bereich, und zwar vor ihrer Ausgabe an die Soldaten zu bestimmten Anlässen.

Das Fehlen der 13 n.Chr. neu einsetzenden Gold- und Silberprägungen und der 10 n.Chr. wieder beginnenden Kupferprägungen sowie die geringe Zahl der erst nach 9 n.Chr. an Rhein und Donau in größeren Mengen auftretenden in Rom geprägten Münzmeisterstücke weist eindeutig darauf hin, daß in Kalkriese nach 9 n.Chr. keine römische Münze mehr in den Boden gekommen ist.

Dies gilt um so mehr, als nach 9 n.Chr. geprägte asses durchaus rechts des Rheins vorkommen, ihr Ausbleiben in Kalkriese also nicht auf ein generelles Fehlen in Germanien zurückgeführt werden kann und für die Datierung des Fundplatzes Kalkriese somit bedeutungslos wäre.

Der archäologische Befund, der als Ursache des Fundniederschlags ein einziges Ereignis vermuten läßt, sowie die Geschlossenheit des Fundmaterials ermöglichen eine Eingrenzung des Verlustzeitpunkts von der anderen Seite her, und zwar anhand der asses mit der Kontermarke VAR. Der Gegenstempel kann nur zwischen 7 n.Chr. und 9 n.Chr., das heißt als Varus legatus Augusti pro praetore in Germanien war, aufgebracht und die Münzen - in Anbetracht der Schlußdatierung des Fundplatzes - verlorengegangen sein. Das läßt wiederum den Schluß zu, daß der Vorgang, der zu dem Fundniederschlag führte, ebenfalls zwischen 7 n.Chr. und 9 n.Chr. angesetzt werden muß.

Angesichts des Umstandes, daß die schriftlichen Quellen für die Jahre 7 n.Chr. und 8 n.Chr. nicht nur von keinen Kämpfen des Umfangs, wie sie sich nach dem archäologischen Befund in der Kalkrieser-Niewedder Senke abgespielt haben müssen, berichten, sondern überhaupt keine militärischen Auseinandersetzungen zwischen Römern und Germanen vermelden, kommt - darauf deutet ja auch die Datierung der Hortfunde hin - als Jahr des Verlustes der Münzen n u r das Jahr 9 n.Chr. in Frage.

Die numismatische Datierung des Fundplatzes Kalkriese in das Jahr 9 n.Chr. spricht damit eindeutig für eine Verbindung des Kampfgeschehens mit der clades Variana im saltus Teutoburgiensis.

Gegen die Auffassung, den Fundort Kalkriese lediglich als Nebenkriegsschauplatz dieses Ereignisses einzustufen, sprechen neben der großräumigen Ausdehnung des Kampfplatzes auch der Erhaltungszustand, die Lage und die Zusammensetzung der Funde. Sie belegen, daß nicht nur römische Kampftruppen - Legionsabteilungen, Auxiliareinheiten und Reiterei - in die Kämpfe verwickelt waren, sondern daß auch alle in einem römischen Heer zu erwartenden nichtkämpfenden Verbände, das heißt der gesamte Troß mit Pionieren, Handwerkern, Vermessungstrupps, Schreibern, Ärzten und anderen, von den germanischen Angriffen betroffen wurde, ein eindeutiger Hinweis auf eine Vernichtungsschlacht, als die die clades Variana von den antiken Berichterstattern geschildert wird. Die Erhaltung der Funde und ihre Lage zu den verstürzten germanischen Befestigungsanlagen zeigen zudem deutliche Spuren einer Plünderung des Kampfplatzes durch die Germanen.

Daß trotz dieses Beutemachens und trotz der seit dem Mittelalter durch Kultivierungsmaßnahmen, der Gewinnung von Plaggen zur Düngung und anderen landwirtschaftlichen Maßnahmen erfolgten Reduzierung des Fundbestandes immer noch eine teilweise große Funddichte bei der systematischen Prospektion und den Ausgrabungen zu verzeichnen ist, läßt auf einen ursprünglich extrem hohen Fundanfall schließen, wie er am Ort der Schlacht im saltus Teutoburgiensis auch erwartet werden kann. Die bereits beim derzeitigen Stand der Prospektion erkennbare beträchtliche Ost-West-Erstreckung des Kampfgeschehens läßt sich zudem gut mit der antiken Überlieferung in Einklang bringen, die besagt, daß sich die clades Variana über drei Tage erstreckte, und daß das römische Heer während dieser Zeit weiterzog.



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